MANV-Konzept Emden

Foto links:

Behandlungsplatz (BHP) mit Verletztenablage

Foto rechts:

Intensiveinheit als Ergänzungskomponente zum  BHP. Vorne ein RTW mit kompletter intensiv- medizinischer Ausstattung und Hinten ein Intensiv-”Koffer” mit der selben Ausstattung wie der RTW.

Kann im Altagsgeschäft auch als mobile Unfallhilfsstelle verwendet werden.

MANV- Konzept Emden

Die klassische MANV-Planung stellt die Veränderung der rettungsdienstlichen Einsatztaktik auf die MANV-Situation dar. Mit extra für die MANV-Lage vorgehaltenem Personal (SEGen) und Material (Abrollbehälter MANV o. ä.) haben sich die Rettungsdienste auf die MANV-Situationen eingestellt, sodass von einer organisierten Abarbeitung der Lage mit angepassten Mitteln ausgegangen werden kann. 

Leider stimmt dies in der Regel nur für die Ballungszentren. Dezentrale Flächenlandkreise und kleinere kreisfreie Städte können selbst bei optimaler Planung die erforderlichen Ressourcen für eine MANV-Lage in der Regel nicht aufbieten.

Die Stadt Emden ist eine kreisfreie Stadt mit ca. 52.000 Einwohnern. Geografisch liegt sie in klassischer Randlage, ganz im Nordwesten Niedersachsens, nur durch die Ems von den Niederlanden getrennt. Emden birgt als Hafen- und Industriestandort besondere Risiken, insbesondere auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Royal Army regelmäßig Kriegsgüter incl. Panzer und Munition in die Krisengebiete (z. Z. Irak) verschifft.

Eine MANV-Lage mit „nur“ 50 Verletzten bringt den Rettungsdienst in Emden schon weit in eine Überforderungssituation, die nur durch den Einsatz der SEG mit einer entsprechenden Rettungsstelle beherrscht werden könnte.

Die Größe der Stadt mit ihrer rettungsdienstlichen Infrastruktur, einem DRK-Kreisverband und einer hauptberuflichen Feuerwehr machen eine enge Zusammenarbeit aller Kräfte erforderlich, um im Falle eines MANV die vorhandenen Ressourcen wirkungsvoll einsetzen zu können.

Die Stadt Emden hat eine Rettungsstelle beschafft, die in ein gesamtes MANV-Konzept eingepasst wurde. Die in Emden vorgehaltene Rettungsstelle hat sich in der Struktur an der Rettungsstelle der Berufsfeuerwehr Hannover orientiert, die für die EXPO beschafft wurde. Der Umfang wurde allerdings auf den Maßstab der Stadt Emden reduziert.

 Um die Arbeitsweise der Rettungsstelle zu verstehen, soll nachstehend das MANV-Konzept Emden dargestellt werden:

Das Material der Rettungsstelle wurde seitens der Stadt Emden in zwei Schritten beschafft; zunächst die medizinische Ausstattung, um mit den vorhandenen Zelten zunächst handlungsfähig zu werden, dann die Schnelleinsatzzelte, wobei z. Z. noch ein Zelt in der Beschaffung ist. Das beschaffte Material wurde an das DRK übergeben. Überhaupt zeichnet sich die Struktur in Emden durch eine hervorragende Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen aus.

Wie überall wird der Ersteinsatz von den Kräften des Rettungsdienstes und der hauptberuflichen Feuerwehr geführt. Da der Rettungsdienst aber schnell an seine personellen Leistungsgrenzen stößt, wird zunächst eine kleine SEG Rettung, bestehend aus 10 DRK-Helfern, die z. T. über Qualifikation Rettungsassistent oder Rettungssanitäter verfügen, alarmiert. Für größere Lagen wird diese Gruppe aus Personal des Einsatzzuges verstärkt. Um möglichst viele Sanitätskräfte für die Verletztenversorgung zur Verfügung zu haben, haben sich zwei Ortswehren der Freiwilligen Feuerwehr zur Verfügung gestellt. Sie entlasten die DRK-Helfer, indem sie den technischen Aufbau der Rettungsstelle übernehmen und die Infrastruktur während des Einsatzes auch bewirtschaften (z. B. Kontrolle und Betankung der Stromaggregate, etc.).Hier arbeiten also ehrenamtliche DRK-Helfer, Rettungsdienst und Freiwillige Feuerwehr eng zusammen.

Um eine Zusammenarbeit auch möglichst einfach zu gestalten wurde das gesamte medizinische Material in Zarges-Boxen verstaut. Die Boxen wurden farbig gekennzeichnet, sodass auch weniger geschulte Helfer die Boxen den entsprechenden Zelten zuordnen können.

Eine MANV-Lage führt zwangsläufig dazu, dass in der ersten Phase des Einsatzes nicht ausreichend Einsatzkräfte zur Verfügung stehen, um eine „in-field“-Versorgung der Verletzten durchzuführen. Die oft diskutierte „in-field“-Versorgung relativiert sich aber schon deshalb in der Praxis, weil der Rettungsdienst nicht im Gefahrenbereich tätig wird, Verletzte also bereits vor der ersten Versorgung durch die Feuerwehr aus dem Gefahrenbereich gebracht werden. (Ausnahmen, wenn Patienten nicht transportiert werden können, z. B. eingeklemmte Personen, sind gesondert zu betrachten). Außerdem hat die „in-field“-Versorgung den Nachteil, dass entweder bei jedem Verletzten ein Helfer verbleiben muss, was natürlich unter MANV-Bedingungen illusorisch ist oder die Patienten nach der ersten Sichtung und Erstversorgung vorübergehend sich selbst überlassen bleiben, was rettungsmedizinisch ungünstig ist.

In der klassischen Katastrophenschutzterminologie bilden sich sog. Verletztenablagen „am Rande des Schadengebietes“. Hier gilt es bereits diese Bildung von Verletztenablagen organisatorisch in den Begriff zu bekommen. In diesem Bereich beginnt die erste Patientenversorgung und hier sind die ersten Zeiten zu überbrücken, bis a) die Rettungsstelle (andernorts auch als Verbandplatz bezeichnet) ihre Arbeit aufnehmen kann und um b) eine Staubildung vor dem Triagebereich der Rettungsstelle zu vermeiden.Hier werden also auch die ersten Grundlagen für den Einsatzerfolg gelegt.

 Zur Bildung dieser Erstversorgungsbereiche, bei uns „Sichtungsstellen“ genannt ist entsprechendes Material erforderlich. Aus diesem Grund führen in Emden alle RTW eine Grundausstattung an Material mit. Der Grundtyp der Sichtungsstelle wird aus jeweils 2 RTW und einem NEF gebildet. Mit diesen Fahrzeugen kann eine Sichtungsstelle für jeweils 10 Verletzte errichtet werden.  Dies ist spontan und ohne jede Vorlaufzeit möglich und wird auch bereits z. B. bei größeren Verkehrsunfällen praktiziert. Je nach Lage und Verletzungsmuster können diese Sichtungsstellen bei gleicher Personalausstattung auch 15 bis 20 Verletzte betreuen.

An den Sichtungsstellen (Verletztenablagen) findet die erste Triage statt, die erste Verletztendokumentation und die erste medizinische Notversorgung. Durch dieses System erreichen wir, dass zunächst 10 Verletzte von 4 Mann Einsatzpersonal (2 RTW-Besatzungen) versorgt werden, Notarzt und RA des NEF stehen dabei als Führungskräfte zur Verfügung. Es entsteht ein Verhältnis von 2,5 : 1 Verletzte zu Einsatzkräften an dieser Stelle (bis max. 5 : 1).

Klar ist, dass bei Einsätzen dieser Größenordnung die eigenen Kräfte nicht mehr für den Patiententransport zur Verfügung stehen (weder die Kräfte des Rettungsdienstes noch die Kräfte der SEG des DRK). Dies resultiert zum einen eben daraus, dass die eigenen RTW für die Sichtungsstellen eingesetzt sind, zum anderen aber auch daraus, dass die eigene Krankenhausinfrastruktur schnell an ihre Grenzen stößt. Will man dann – und das ist keine Frage des Wollens, sondern ein einsatztaktisches Muss – Patienten dezentralisieren, entstehen lange Fahrtwege und –zeiten, sodass sich effiziente Pendelverkehre zwischen Aufnahmekliniken und Schadensort nicht realisieren lassen. Ein einmal belegter RTW ist für lange Zeit belegt.

Daher gilt in Emden: Wir übernehmen die Patientenversorgung auf den Ebenen Sichtungsstelle und Rettungsstelle, der spätere Transport muss von überregionalen Verstärkungskräften durchgeführt werden.

Die Zeiträume für das Heranführen dieser überregionalen Kräfte stellen bei näherer Betrachtung auch kein Manko dar.

Die DRK - SEG für die Rettungsstelle wird etwa 30 Min. nach der Alarmierung an der Einsatzstelle sein, etwa 1 Std. nach Alarmierung wird die Rettungsstelle voll funktionstüchtig sein und ihre Arbeit aufnehmen. Da ohnehin ein Transportstopp bestehen wird, müssen die Patienten bis zur Arbeitsaufnahme der Rettungsstelle auf der Sichtungsstelle erstversorgt werden. Sie werden dann in der Rettungsstelle der 2. Triage zugeführt und von dort in die dafür eingerichteten Versorgungsbereiche T1 bis T4 überwiesen. Bei geordnetem Verlauf werden, von Ausnahmen abgesehen, die ersten Patienten die Einsatzstelle erst nach etwa 70 Minuten verlassen.

Das bedeutet, dass die Einsatzleitung auch 70 Minuten Zeit hat, um überregionale Transportmittel heranzuführen und den sog. Krankenwagenhalteplatz zu organisieren.

Besonders einfach ist es, wenn die überregionalen Transportmittel die Patienten in ihre eigenen Krankenhäuser mitnehmen. Hier kommt der Transportorganisation eine erhebliche Aufgabe zu, denn es sollen die Patienten ja nicht nur örtlich verteilt werden, sondern insbesondere auch unter Berücksichtigung ihrer Verletzung der geeigneten Klinik zugeführt werden.

Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass die Abläufe - so weit es geht - den Alltagsabläufen ähneln müssen. Derartige Einsatzlagen sind so selten, dass extra einzuübende Organisationsabläufe in der Regel nicht funktionieren werden.

Für die Transportorganisation wird in Emden eine Abschnittsleitung Rettung eingerichtet, die auf der ÖEL nach NRettDG basiert aber durch zusätzliche Assistenzkräfte (Melder, Funker etc.) aufgestockt wird.

Die Rettungsstelle meldet alle Transportanforderungen an diese Abschnittsleitung (also genauso, wie im Alltag ein Krankenhaus seine Transportbestellung an die Rettungsleitstelle gibt). Diese  verwaltet auf einer Matrix die für Transportaufgaben zur Verfügung stehenden Rettungsmittel und weist diesen über den Leiter Krankenwagenhalteplatz den konkreten Transportauftrag zu. Identifikationsmerkmal ist dabei die während der Triage vergebene Patientennummer. Das eingesetzte Rettungsmittel erhält vom Leiter Krankenwagenhalteplatz eine Transportauftragskarte, auf der der Abholort (also Versorgungsbereich T1 bis T3) die Patientennummer und die Zielklinik vermerkt ist. (Dies entspricht dem Transportschein im Alltag). Mit dieser Karte fährt das Rettungsmittel zur Ausgangsschleuse der Rettungsstelle, geht in den entsprechenden Versorgungsbereich, z. B. T2 und holt dort z. B. den Patienten 117 ab. Die Karte wird dann aber als Quittung, dass der Patient die Rettungsstelle verlassen hat, bei der Ausgangsdokumentation abgegeben.

Der wirkungsvolle Betrieb der Sichtungsstellen setzt voraus, dass der jeweilige Rettungsmittelfuhrpark frühzeitig darauf eingestellt ist.

Emden, den 07.06.2004

 Harald Wiers                                                                                OrgL Rettungsdienst DRK/ Stadt Emden